Presse und Kritiken

Game and Earnest                                          

(...) Eine experimentelle Musik, die in gleichem Maße durch ihre originelle Konzeption wie durch ihre plastische Wirkung überzeugt.
Der erste Höreindruck mutet zuweilen recht chaotisch an und lässt teils Improvisiertes und teils Komponiertes vermuten, das sich verschiedenster stilistischer Elemente bedient und von einem Zustand anfänglicher Dichte nach und nach zur Auflösung tendiert. Diese scheinbar planlose musikalische Gestalt ist jedoch das Resultat ausgeklügelter Überlegungen, in denen Ordnung und Zufall miteinander wechselwirken.
(...)
(...) Als Folge des pluralistischen technischen Aufbaus fasst Game and Earnest verschiedenste Kompositionsmethoden und Musiker-Individuen zu einer vielschichtigen, manchmal auch äußerst humoristischen Struktur zusammen und vereinigt dabei häufig scheinbar Konträres.
Nicht zuletzt wird hier veranschaulicht, wie der Zufall in ein geordnetes System einbricht und mit diesem in eine ständige Wechselbeziehung tritt. Mithin handelt es sich also auch um eine intelligente künstlerische Auseinandersetzung, die sich lustvoll der grundlegenden Frage nach Freiheit, Ordnung und Zufall widmet, wie sie in der zeitgenössischen Musik seit etwa 1955 immer wieder diskutiert wird. Game and Earnest (...) wird (...) zum klingenden Diskurs über eine wahrhaft philosophische Problematik.
Das Konzept von Game and Earnest stammt vom Duo FIQ (= Fraktion Illegaler Quomponisten: Dietrich Eichmann und Wolfgang von Stürmer), wude 1987 entwickelt und 1989 erweitert. Die vorliegende CD dokumentiert einen vollständigen Live-Mitschnitt des Stückes anlässlich eines Konzertes im Sendesaal des damaligen SDR-Studios in Karlsruhe, die am 11. Dezember 1989 stattfand.
Mit ansprechender Aufmachung und einem informativen Booklet versehen ist sie im Programm des neu gegründeten Berliner Labels oaksmus. erschienen, das mit dieser und anderen Veröffentlichungen einen vielversprechenden Start hinlegt.
Stefan Drees, meOme online, 08/2001

Am vergangenen Donnerstag abend fand die Uraufführung des eigens für Belluard/Bollwerk konzipierten Bollwerk-Musicals "Game and Earnest" des Berliner Duos Wolgang von Stürmer und Dietrich Eichmann statt. Diese Formation, die sich seit den "Tagen für Neue Musik" 1986 in Karlsruhe ironisch als "Fraktion Illegaler Quomponisten" bezeichnet, schleuderte dem Publikum eine Fülle glänzender Ideen und ein Paket unerwarteter Effekte entgegen, so dass sich das Verarbeiten und Entschlüsseln dieser Mischung zwischen programmierten Computermusiksequenzen, improvisierten Einschaltungen der vier Musiker und zentrifugaler Schachbrettposition als äusserst anspruchsvoll erwies.
Schon beim Hineinspähen durch das Bollwerk-Portal, erst recht beim Ausforschen der Atmosphäre und der Kulissenkonzeption bemächtigte sich der Zuhörer/-schauer ein gewisses Gefühl der Verblüfftheit, des Erstaunens. Man fragte sich, wo und wie die Gladiatoren der "Science Fiction-Musik" auftreten würden, warum nur einzelne, kreuz und quer verteilte Stühle auf dem Vorplatze herumstanden. Überhaupt schien es sehr merkwürdig, wie sich die Bollwerk-Zuschauer verhielten. Einzelne überquerten in einer noch nie gesehenen Seelenruhe die Bühne (daselbst), um sich dann plötzlich auf den Brettern nierderzulassen, andere richteten sich ihr Bollwerk selbstbewusst-trotzig auf den kühlen Pflastersteinen ein. Eine weitere Gruppe Unbeholfener versuchte in erregten oder gelassenen Gesprächen zu eruieren, was die seltsame Darbietung an Essenz wohl einspielen würde; eine latente Unsicherheit (Ungewissheit) jedoch war den meisten eigen.
Das Zentrum bildete diesmal nicht die Bühne selbst, sondern ein elektrifiziertes Schachbrett, welches durch Kabelstränge an einen Computer angeschlossen war: weitere Kabelwürste suchten ihren Weg zu einer Art "Tasten-Knopf-Wesen", das als eigentliches Kern- und Prunkstück unbeachtet flach auf dem Podium thronte (klebte). Zwei quaderförmige Boxen auf dem linken und rechten Bühnenrand boten sich als Akteure an. Zusätzliche Boxen waren zwischen Riegelbalken der Säulenarkaden auf alle drei Stockwerke verteilt. Ein gutgeübtes Auge lokalisierte in schwindelerregender Höhe einen herbeigezogenen Saxophonisten (Reimar Volker), der in einem Taubenschlag, sprich Lukarne, nistete, im Rücken auf Parterre-Höhe den Pianisten Dietrich Eichmann mit Zubehör, hinten links im 1. Stock, in einer Nische das Arsenel von Turntables (Plattenspieler…) des Wolfgang von Stürmer, ebenfalls im Rücken der "bestuhlten" Zuhörer einen Gitarristen (Uwe Kremp) mit Verstärkeranlage – im 3. Stock.

Das Spiel beginnt: zwei Schachspieler mit zerfurchter Stirn in Denkerpose. Weiss eröffnet. Im weiten Hintergrund entpuppt sich ein kurzes Auflachen als Startzeichen eintretender Konfrontation mit noch nie gehörter Musik. Die Desorientierung unter dem Publikum ist perfekt. Da – ein Tongeschmetter, ein Zischen undefinierbarer Wortfetzen, ein Aufflackern grunzender, lautmalerischer Wörter. Immer noch ziellos dahinschwebende Gestalten. Schwarz schiebt seinen 1. Bauern um ein Feld auf ein weisses. Weiss fühlt sich bedroht. Ein monotoner Ton überdröhnt nun die improvisierende Turntable-Arbeit von Stürmers. Weiss muss kontern. Doch drohende Musikgeräusche stimmen ihn vorerst verhalten defensiv. Schwarz ist unschlüssig. Der monotone Tonkomplex "tü-düü, tü-düü", den Schwarz bei seinem ersten Zug ausgelöst hatte, hält den aufstrebenden und wieder absterbenden Tonsalat dermassen in Schach, auf dass sich plötzlich der Saxophonist mit einer free-jazzigen Tirade einschaltet. Zwischendurch raschelt im überdimensionierten Getöse herbstlich‘ Laub vom Himmel der lauen Sommernachtseindämmerung; denn Weiss liess in arger Bedrängnis sein noch lebendes Pferd springen und führt es jetzt zum Freudentanz. Parallel zur Strategie der Schachspieler, bzw. den Figurenpositionen entwickelt sich programmierte "Feld-Musik" (das Benutzen eines bestimmten Feldes löst eine angekoppelte, im Computer gespeicherte Musik-Geräusch-Sequenz von unterschiedlicher Länge und Tonqualität aus) zu einem Kampf der Motive, die sich steigern oder Rückzugsgefechte liefern. Maschinengewehrgezeter in dezentem piano, überirdisches, märchenhaftes Tongesäusel, Geräusche quietschender Dampfmaschinen im fortissimo überfallen das Publikum: Gelächter da, Versteinerung dort, Unerschütterte, die Kriegsrat halten und sich mit Fragen der technischen Realisierung des Bollwerk-Musicals auseinandersetzen. Wie die Geräusche entstehen, sieht man selten; ausser man gibt sich ein Stell-Dich-Ein beim Pianisten Eichmann, der mit seinen verrückten Einfällen wie z.B. unorthodoxes Bearbeiten der Klaviersaiten mit befilztem Trommelschläger etc. die Lacher auf seiner Seite hat.
Für den Herrn in Weiss sieht’s jetzt böse aus. Der allesdeckende Turm wird ein Opfer seines Wagemutes. Donnerschläge aus den Boxen, Lautsprecherstimmen, Wiederholungen von bestimmten Signeten, ein wildes Riff der elektrischen Gitarre kündigen seinen nahen Untergang an; anschliessendes Gepauke, lärmiger Motorenkrach schreit sich in den nun völlig eingedunkelten Bollwerk-Wolkenhimmel. Aus. Abruptes Ende, Schachmatt! Schlussgong, auch für die programmierte, avantgardistische Computermusik; die Musiker mischen sich schelmisch, mit schalkhaftem Gesichtsausdruck ins fassungs- und ahnungslose, konsternierte Publikum, das einen grossen Ring um Computer und Schachbrett gebildet hat.
Es war eine einzigartige Aufführung an Möglichkeiten des Molochs Computer mit zwar programmierter Musik – doch wird kein Schach gleich gespielt wie ein vorhergegangenes; und diese Komponenten Schachspielertypus, Publikumsverhalten, Einsatz improvisierter experimenteller Musik der Musiker etc. sind dermassen in wechselseitige Abhängigkeiten verstrickt, dass auch in Zukunft die "FIQ" bestimmt einiges an Überraschungen bereithalten wird.

Freiburger Nachrichten (CH), 07/1987

« Bzzz, Tchac, Crac ! », voici en toute honnêteté quelle serait la chronique la plus proche du spectacle proposé jeudi soir dans le cadre du festival Belluard. Encore faudrait-il, pour donner une idée exacte de l’ambiance, reproduire ce genre d’onomatopées sur au moins 3 colonnes ! Ce serait, convenons-en, pousser la plaisanterie un peu loin vis-à-vis des spectateurs-lecteurs de la « Création pour un jeu d’échecs » de Wolgang von Stürmer et Dietrich Eichmann. Quant au lecteur anonyme, parcourant ces lignes en buvant son café, il ne mérite vraiment pas cela.
Narrons donc par le détail l’étrange performance de ce quatuor allemand, en mal d’expériences terroristes. Une partie d’échecs va donc être le point de départ d’une orgie de sons propre à pulvériser cet endroit pourtant inestimable ! L’échiquier sur lequel va se dérouler une partie, indigne d’un championnat du monde ( l’intellectualisme a ses limites ), est pourvu de cases qui fonctionnent comme les touches d’un clavier. D’où les bruits d’enfer chaque fois qu’un des joueurs bouge un pion. L’ensemble est relié à un ordinateur qui, s’il se trouve à court d’idées, sera suppléé par 3 musiciens disséminés dans l’enceinte du Belluard. Les spectateurs, au milieu de cela, n’ont plus qu’à trouver un siège et se laisser cerner par les sons. Pendant les cinq premières minutes, le sourire est sur toutes les lèvres. Puis, chacun des spectateurs présents se dirige vers le bar, soit vers une connaissance afin d’évoquer une météo décidément bien clémente. Si l’on ne se sent pas l’âme à arpenter seul les recoins obscurs de la forteresse à la recherche d’un peu d’angoisse, il est difficile de se laisser séduire par cette démarche trop stérile pour être honnête. On retiendra le néant de cette expérience post-Baader.
La Liberté (CH), 07/1987

Effroyables crescendi, saxophone en rut, piano flippant et guitare rachitique…
Le Matin (CH), 07/1987

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