Presse und Kritiken
Prayer to the Unknown Gods of the People Without Rights
Gebet an die Götter. Das Ensemble Modern gastierte mit dem Saxofonisten Peter Brötzmann in der Alten Oper.
Gewohnte
Hörräume zu verlassen, das ist das Anliegen des 1966
geborenen Komponisten Dietrich Eichmann. Und so ist auch sein neues Werk
zu begreifen, das nun vom Ensemble Modern uraufgeführt wurde. Dem
Tenorsaxofonisten Peter Brötzmann wurde mit seinen 65 Lebensjahren
einiges zugemutet: Beim „Gebet an die unbekannten Götter der
entrechteten Menschen“ freilich bestimmt der Solist, inwieweit er
sich mit seinem Instrument engagieren will – es ist für „Ensemble
mit improvisierendem Solisten“ geschrieben. Brötzmann aber lieferte
einen Einsatz, der hart an seine und des Zuhörers Grenzen stieß.
Er überschritt immer wieder die fließenden Grenzen zum Jazz.
Beeindruckend seine Fähigkeit, sich stets mit dem „nach Plan“ musizierenden
Instrumentalensemble zu verständigen. Das unter der Leitung des Finnen
John Storgärds agierende Ensemble Modern brachte bei allem aufgewühlten
Klang Ausgewogenheit und technische Brillanz zum Ausdruck.
Frankfurter
Neue Presse, 3.5.2006
Tiraden, Triller, Trommelfeuer - Ensemble Modern im Jazzrausch
Nach einem sehr mitreißenden Konzert des Ensemble Modern in der Alten Oper mit dem Free-Jazzer Peter Brötzmann als Solisten stand auch diese Frage im Raum: Auf welches Lebenswerk können Jazzmusiker zurückblicken? Philologisch fällt Jazz gänzlich durch das Raster der Werkdokumentation. Für wen ist das wichtig?
Sperrangelweit geöffnete Ohren und teils einen vor Staunen heruntergeklappten Unterkiefer beim herrlich gemischten Publikum im Mozartsaal erzeugte dieses hochkarätige, von großer Spielfreude und Sucht nach vorwärtstreibendem Klang geprägte Konzert, in dem es tatsächlich zu einer geglückten Verbindung von Jazz und komponierter Musik kam. Dietrich Eichmann komponierte eine gute alte LP-Länge lang eben für das Ensemble und den improvisierenden Solisten. Free-Jazzer Peter Brötzmann, gestählt durch unzählige Auftritte als unerschütterlicher Lebenspraktiker, verstand es in der Uraufführung von "Prayer to the unknown Gods of the People without Rights", wie eigentlich immer, mit seinem eskapistischen Spiel jede wohlgeformte Schallwelle durch kreatürlich-verzweifeltes Überblasen seines Saxophons in eine ziemlich enervierend pulsierende Musikmatrix zu verwandeln.
Der 1966 in Erlangen
geborene Komponist Dietrich Eichmann, von Jazzpianist Alexander von Schlippenbach
ebenso beeinflußt wie von Wolfgang Rihm,
tappte nicht in die Falle der klanglichen Amalgamierung von Neuer Musik
und Jazzintonation. Das geht meist daneben. Nein, Eichmann ließ das
Ensemble geschickt im Groove des Jazz spielen, durchsetzte die flächigen
Klänge der Streicher und Bläser mit dem auch im Ensemble seit
je schon vorhandenen Improvisationspotential. Uwe Dierksens Posaune etwa
stand Brötzmanns urwaldinischem Wuchern in nichts an Energie nach.
Und was Fagottist Johannes Schwarz da aus seinem Continuo-Instrument hervorzauberte:
alle Achtung! Selten hörte man so ein geschmeidiges und glissandierendes
Fagott. Auch Schwarz hatte das gewisse Etwas des Jazz in diesem Moment
im Blut - oder den Blues. So vollbrachten alle gemeinsam ein kleines Klangwunder,
nämlich aus dem Abokonzert im Mozartsaal ein Jazzmeeting zu machen.
Eine Session, die man noch lange im Ohr hatte. Brötzmann selbst agierte
dabei mit seinem eigenen wilden Sound als Grundpfeiler höchster Erregung.
Achim
Heidernreich, FAZ/Rhein-Main-Zeitung, 3.5.2006
Kammerorchester vom Saxophon kommentiert - Mit Peter Brötzmann und einem Ensemble unter Werner Dickel wurde ein Werk von Dietrich Eichmann uraufgeführt
Spektakulärer
Programmpunkt des zweiten Konzerts des Festivals "Die 3. Art" war im Forum
Maximum das Aufeinandertreffen eines klassischen Kammerorchesters mit dem
Wuppertaler Saxophonisten Peter Brötzmann. Dafür erhielt der Berliner Komponist
Dietrich Eichmann den Auftrag, diese beiden gegensätzlichen Musikrichtungen
zu verbinden. Genial löste er die schwierige Aufgabe, die mit tosendem, lang
anhaltenden Beifall honoriert wurde.
Der bei dem Komponisten Wolfgang Rihm in die Schule gegangene Eichmann kennt
sich in der Free-Jazz-Szene sehr gut aus, wurde er doch früh durch Klavier-
und Improvisationsstudien bei Alexander von Schlippenbach geprägt. Für ihn
gibt es keine musikalischen Grenzen.
"Prayer to the Unknown Gods of the People Without Rights" heißt seine jüngste,
etwa 30-minütige, präzise notierte Tonschöpfung für Saiteninstrumente, Bläser,
vier Schlagzeuger und Klavier, die ohne Themen auskommt. Sie besteht vielmehr
aus vielfältigen Klanggebilden und -flächen, die die unterschiedlichsten Stimmungsbilder,
von brutal-gehetzten bis hin zu kontemplativen, evozieren. Tief ausgelotet,
hochmusikalisch und sehr präzise führte das aus jungen Musikern bestehende
Kammerorchester unter dem versierten Dirigat von Werner Dickel dieses nicht
leicht spielbare, komplexe Werk auf.
In diese abwechslungsreichen Klangstrukturen fügte sich Brötzmann kongenial
ein, beziehungsweise kommentierte und konterkarierte sie außerordentlich ausdrucksstark.
Seinem Tenorsaxophon entlockte er eine extrem große Palette an Klängen: rasend
schnelle oder ruhig-lyrische Tonfolgen, schreiende Sequenzen, kantable und
rhythmisch vertrackte Strukturen.
Dieses Material kombinierte er derart kreativ miteinander, dass seine packenden
Improvisationen zu einem integrativen Bestandteil der Musik Eichmanns verschmolzen.
Hartmut
Sassenhausen, Westdeutsche Zeitung
Rasante Begegnung der dritten Art
Die Amerikaner sprechen
vom "Third Stream", die Wuppertaler von der "3. Art". Beide sind sie auf der
Suche nach den Schnittstellen zwischen Klassik und Jazz, im Idealfall zwischen
komponierter und improvisierter Musik. Doch während es in den USA schon zu
zahlreichen Verbrüderungsansätzen im symphonischen Jazz kam, ist in Deutschland
das Zwei-Sparten-Musizieren nahezu unangetastet geblieben.
Das will das "3. Art"-Festival ändern, das nun zum ersten Mal im Bergischen
Land stattfindet. Und gab es im Eröffnungskonzert mit Gershwins "Porgy and
Bess" noch handzahme Standard-Kost, wurden ein Tag später im Wuppertaler Forum
Rex die musikalischen Schleusen gleich ganz geöffnet. Das Auftragswerk ging
dafür an Dietrich Eichmann, der sich im Jazz und in der Klassik chamäleonartig
bewegt. Beim Free-Jazz-Pianisten Alexander von Schliuppenbach ausgebildet,
ging der 1966 in Erlangen geborene Eichmann danach bei Wolfgang Rihm in die
akademische Lehre. Und schon da war es Eichmanns virtuoser Umgang mit bruitistischen
Ausschlägen und widerspenstigen Stimmungsgesten, die Rihm augenzwinkernd anmerken
ließen, dass er von seinem Schüler vielleicht noch ein wenig mehr Chaos lernen
könnte. Obwohl jede kleinste Radikalität bei Eichmann streng durchkomponiert
wird.
So auch in dem zwanzigminütigen Werk "Prayer to the Unknown Gods of the People
Without Rights", dem eine Diagnose weltweiter Unterdrückungsmechanismen durch
den amerikanischen Linguisten Noam Chomsky zugrunde liegt. Von einer im weitesten
Sinne assoziativen Programmmusik bleibt das Stück jedoch entfernt, solange
weder die orchestralen Geräuschorgien noch der vom Saxophonisten Peter Brötzmann
aggressiv angegangene Solo-Part als Leidenssschreie verstanden werden. Eher
stand hier ein gemeinsames Kräftemessen an, in dem es um nichts anderes ging
als um die improviserte Reaktionsschnelligkeit auf Fixiertes. Wobei Eichmann
eigentlich keinen besseren Sparrings-Partner finden konnte als Brötzmann,
der als ungelernter Avantgarde-Handwerker seine anti-bürgerliche Musizierhaltung
auch nach über dreißig Jahren immer noch extremistisch ausstellt.
Dass sich das Chaos nicht einfach einschalten lässt, wurde nach der Wiederholung
des Werkes deutlich. Denn Brötzmann benötigt als Animation für seine berühmten
Glissandi und fiebrigen Hetzjagden schon mehr als ein doch nur formalistisches
Gebilde, dessen Struktur man erahnen kann, das sich jedoch hinter grobschlächtiger
Rasanz im Schlagwerk verstecken will, bei der Chaos und Architektonik aber
nicht sspannungsgeladen zueinander finden. Jeder dynamischen Veränderung,
die das Wuppertaler Kammerorchester unter Werner Dickel hochengagiert meistert,
folgte Brötzmann treu; und versiegt der Klangfluss unspektakulär im Finale,
wurde dies von Brötzmann nicht mehr attackiert. Was bei ihm schon etwas heißen
will.
Guido Fischer, Süddeutsche Zeitung