Kommentar

Entre deux guerres (1996-99)
Konzert für Klavier und Ensemble (1996-99)
Klavier solo & 14 Musiker: Fl/Picc, Kl/Bkl, Barsax, Hr, Trp, Pos, E-Gitarre, Akk, 2 Schlzg, 2 Vln, Vla, Vcl, 46’

Im französischen Sprachgebrauch bezeichnet der Ausdruck "Entre deux guerres" eigentlich die Periode zwischen den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des zuendegehenden Jahrhunderts. Die Situation, sich, wenn nicht im Krieg, dann immer zwischen zwei Kriegen zu befinden, hat sich in der zweiten Hälfte eben dieses Jahrhunderts keinesfalls geändert, nein, sie ist allgemein akzeptierte, als unvermeidlich propagierte und anerkannte Tatsache geworden - vorausgesetzt, daß wir diese Kriege nicht zu Hause führen.

Das Klavierkonzert ist keine Kriegsmusik.
Es entstand zwischen zwei Golfkriegen.
Es entstand nach den Massakern in Ruanda.
Es entstand zwischen zwei Jugoslawienkriegen.

Es entstand zwischen und während Kriegen. Es ist keine Musik für Friedenszeiten.

Die Lehre der "Instrumentation", der eine Ensemblekomposition normalerweise zu folgen hat, findet kaum Anwendung in einem Konzert, das von vierzehn Solisten (wobei das Streichquartett und die beiden Schlagzeuger im Grunde wie jeweils ein Solist agieren) mit einem "Feature-" Solisten gespielt wird. Die Instrumentation des Stückes steht der Big Band oft sehr viel näher als dem Sinfonieorchester oder dem klassischen Kammermusikensemble.
Wenngleich die Partitur exakt notiert ist und keinerlei Improvisationsangaben oder -optionen enthält, erlangt die Improvisation als musikalisch-organisches Element, wie ich es im Free Jazz, in der "Free Music", zu verwenden lernte, eine nicht zu unterschätzende kompositionstechnische Bedeutung, denn die Wahrnehmungsweise des improvisierenden Musikers ermöglicht dem Komponisten, der Musik eine umso freiere Entwicklung zu gestatten, indem er ihrer Entstehung "zuhört": Er folgt ihrem Atem wie aufeinander hörende Musiker, die, ohne sich zu imitieren, als Individuen wahrnehmbar werden im vielsprachigen Geflecht der Klänge.
Die Arbeit an diesem Stück durchlief viele Etappen der Konkretisierung eines ursprünglich aus dem Zusammentreffen mehrerer, voneinander unabhängiger Strukturen entstandenen groben Ablaufs, an dem entlang ich immer wieder neu "improvisierte", einen großen Vorrat Kleinstelemente immer wieder neu permutierend, ähnlich wie Thomas Bernhard, zu dem mir eine große strukturelle Verwandtschaft zunehmend bewußt wird, durch die seitenlange Fortsetzung und Variation der immer gleichen Begriffe unbegrenzt vielfältige semantische Schattierungen hervorzubringen versteht, ohne einem Anspruch auf katalogartige Vollständigkeit in die Falle zu gehen, sondern immer sinnstiftend, sprach-organisch, gerade wenn der Zweck die Ironisierung der Sprache selbst ist.
Die Geschichte, die diese Musik erzählt, ist eine, die ich nicht gekannt und nicht geplant habe. Sie erzählt sich in der subjektiven Wahrnehmung jedes einzelnen Zuhörers.

"Entre deux guerres" wurde im Auftrag des Südwestrundfunks geschrieben. Der Großteil der Arbeit wurde durch ein Stipendium von "one art", Baden-Baden, ermöglicht.
Besonders danken möchte ich Susanne Rockweiler, Benno Trautmann, Harald Borges, Johan Bossers, Birgit Stapel und natürlich dem "Featuresolisten" Christoph Grund, ohne deren unermüdliche Unterstützung dieses Stück nicht entstanden wäre.
August 1999

 

 

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